Ölaustritt durch Überbefüllung?

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fredl99
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Deckelschrauben neu oder nicht, Nachdrehen oder mehr Nm?

Beitrag von fredl99 »

Nachdem mich das Thema weiterhin beschäftigt hat und auch im Netz die gleiche Frage immer wieder auftaucht, fasse ich hier kurz zusammen, was sich im Bezug auf unsere Getriebedeckel daraus ableiten lässt.
Wohlgemerkt: Ich will weder einen Glaubenskrieg noch eine Grundsatzdiskussion auslösen, sondern dem Leser Informationen als Entscheidungshilfe geben. Es steht jedem frei wie er sich danach selbst entscheidet. Der Unterschied bei den Kosten beträgt knapp 20,-
Die technischen Hintergründe können in den genannten Links bzw. über Google nachgelesen werden.

1. werden nach wie vor bei Neukauf Stahlschrauben geliefert. Diese sind mit Sicherungslack vorbehandelt, der offensichtlich maschinell immer exakt gleich aufgetragen wurde.
2. Die korrekte Befestigung laut Leitfaden geschieht mit 15Nm+90° Nachdrehwinkel. Der Sinn ist, daß der Sicherungslack einen definierten Reibwert verursacht und über die Nachdrehung eine definierte plastische Verformung der Schraube erfolgt. Damit sind alle 12 Deckelschrauben gleichmäßig fest angezogen, wodurch das Gehäuse spannungsfrei verschlossen und die Dichtung gleichmäßig angepresst wird.
3. Bereits gedehnte Schrauben halten einer weiteren Nachdrehung nicht auf Dauer Stand. Die neuerliche Verformung ergibt auch nicht mehr den ursprünglich vorgesehenen Anpressdruck und Ausgleichsfähigkeit gegen Materialdehnung wegen Temperaturschwankungen. (Schwankungsbereich von Außentemperatur bis über 100°C! → Alu- bzw. Magnesiumlegierung!)
4. Auch das Anziehen mit 25Nm entspricht nicht dem vorgesehenen Anpressdruck, da sich das Drehmoment aus Reibungswiderstand im Gewinde und Anpressdruck am Schraubenkopf ergibt. Gerade weil der Reibungswiderstand nicht vorhersehbar ist (Verunreinigungen, Fett- oder Ölreste, mangelhaftes oder schadhaftes Gewinde, Materialermüdung) wird der Sicherungslack als feste Größe mit bekannt (hohem) Reibwert eingesetzt. Die übrigen, nicht berechenbaren Ursachen werden so auf einen Bruchteil des gesamten Reibungswiderstands reduziert. Daher ergeben sich die 15 Nm (bei der die Schraube scheinbar bereits sehr fest sitzt) hauptsächlich aus dem „Ankleben“ des Sicherungslacks. Der eigentliche Spannvorgang beginnt von diesem definierten Punkt aus durch die gleichmäßige Nachdrehung (=plastische Verformung) aller Schrauben.
5. Gebrauchte Schrauben haben nur noch Reste bzw. gar keinen Sicherungslack mehr dran, während im Gewinde noch die inaktiven Reste des alten kleben. Diese kommen einer starken Verunreinigung gleich und verschlechtern die Ausgangslage zusätzlich: Zum einen ist schon die Verunreinigung an sich unberechenbar, zum anderen kommt es durch Vermischung der 12 Schrauben zu völlig unterschiedlichen Ausmaßen der Verunreinigung. Als Ergebnis weisen alle Schrauben unterschiedliche Klemmwirkung auf. Ob Deckel und Dichtung somit korrekt befestigt sind sei dahingestellt.
Ob es dann tropft oder nicht oder jemals andere Probleme auftreten, tut nichts zur Sache, denn auch ein zugeklebtes Gehäuse wäre dicht und die meisten anderen Störungen wird kaum jemand auf diese Ursache zurückführen. Die Konstrukteure werden sich aber etwas dabei gedacht haben.

Siehe auch:
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Wichtig: Eine generelle Grundregel lautet, daß bei allen Schrauben, die mit Sicherungslack eingebaut werden, stets das Gewinde von altem Sicherungslack befreit werden muss (Gewindebohrer+Pressluft). Andernfalls könnte durch die stärkere Haftwirkung (neuer Blocker auf altem) die Schraube beim Herausdrehen abgerissen werden!

P.S.: Obiges gilt übrigens auch für die großen Kombischrauben (außen am Tunnelquerträger zur Karosserie), die für den Zugang zum Getriebedeckel üblicherweise gelöst werden müssen. Die kosten pro Stück etwas über 5,- und halten tragende Teile zusammen. Die beiden kleineren daneben müssen laut Audi nicht ersetzt werden, es kann also keine Geldfrage sein.
Wie gesagt: Jeder soll für sich entscheiden.
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Re: Ölaustritt durch Überbefüllung?

Beitrag von Horch »

Vielen Dank für die ausführliche Abhandlung.

Es sei aber noch angemerkt, dass der Abschlußdeckel keinerlei mechanischer Last getriebeseitig unterliegt. Er ist schlicht und einfach ein Gehäusedeckel. Bei allen mir bekannten Instandsetzungen wurden die Gehäuseschrauben wieder verwendet. Die Dichtung sollte natürlich gegen die neue Aluminiumdichtung ersetzt werden. Und selbst die ist nach dreimaliger Öffnung des Abschlussdeckels dicht geblieben, bei Verwendung der alten Schrauben.

Einfach nur als Anmerkung aus der Praxis.

Grüße,

Horch
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Re: Ölaustritt durch Überbefüllung?

Beitrag von fredl99 »

Hallo,

Daß Theorie und Praxis zwei verschiedene Dinge sind, ist ja bekannt. :)

Ich habe die Hintergründe weitergegeben, weil die Frage oft auftaucht und mich auch interessiert hat. Ein Forum dient ja dem Informationsaustausch und da ich hier schon viel davon erhalten habe, wollte ich auch etwas weitergeben.

Am Deckel ist das Stützlager montiert und er trägt somit einen guten Teil des Gewichts. Im Inneren mag das egal sein, auf die Kräfteverteilung am Gehäuse könnte es sich aber auswirken. Wie gesagt, Theorie und Praxis unterscheiden sich da sicher, aber ausschließen kann man es nicht ganz.

Wie auch immer, ich hab's gesucht, gefunden und zusammengefasst. Mehr wollte ich nicht. Wenn es jemandem hilft, freut es mich. Wenn's anders auch geht, auch :)
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